Samstag, 12. August 2023

Nachhaltigkeit und Digitalisierung unter Einbindung religiöser Aspekte

Auf Einladung der CampusGemeinde Kaiserslautern und Homburg hielt Prof. Dr. Michael Jacob am 23. Juli 2023 im ökumenischen Universitäts- und Hochschulgottesdienst in Kaiserslautern die Kanzelrede. Mit seiner freundlichen Genehmigung stellen wir sie hier zum Nachlesen zur Verfügung:
 

Liebe Zuhörer,

Ich freue mich Ihnen heute einige Gedanken zu dem Thema Nachhaltigkeit und Digitalisierung unter Einbindung religiöser Aspekte näher bringen zu dürfen und bedanke mich dafür zunächst bei allen Organisatoren.

Als Professor für Betriebswirtschaft mit dem Schwerpunkt Digitalisierung an der Hochschule Kaiserlautern beschäftige ich mich am Standort Zweibrücken bereits seit einigen Jahren mit diesem Themenkomplex. Auch während meiner beruflichen Praxis unter anderem als Geschäftsführer bei Price Walterhouse Coopers Consulting in Luxemburg habe ich mit diesbezüglichen Fragestellungen Erfahrungen gesammelt.

Die Begriffe Nachhaltigkeit und Digitalisierung werden heute häufig als sogenannte Megatrends bezeichnet und in diesem Kontext zusammen mit anderen Begriffen als entscheidend für die Zukunft der Menschheit beschrieben. Bei der Religion wird dagegen diskutiert, ob es einen Megatrend Religion oder einen Megatrend Gottvergessenheit gibt (vgl. hier)

Was bedeuten die Begriffe Nachhaltigkeit und Digitalisierung und wie ist deren Zusammenhang? Hat auch Religion und Kirche hiermit etwas zu tun? Mit diesen Fragen möchte ich mich im Folgenden kurz befassen.

Beginnen möchte ich mit der Digitalisierung, da sich diese schneller erklären lässt als die Nachhaltigkeit. Vereinfacht ausgedrückt geht es hierbei um alle Veränderungen, die durch den Einsatz von Computern und des Internets entstanden sind. Diese Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen. Zukünftig wird die Welt durch Cloud Computing, Augmented und Virtual Reality, Big Data, das Metaversum und vor allem die Künstliche Intelligenz immer mehr beeinflusst werden.

Erleben können wir Digitalisierung aber bereits jeden Tag, zum Beispiel beim Online-Banking, beim Lesen auf einem Tablet oder E-Reader, bei einer Videokonferenz aus dem Homeoffice oder auch bei Computerspielen. Fluch oder Segen liegen hier - auch abhängig von der Perspektive - eng zusammen, was an den folgenden Beispielen deutlich wird. Einerseits erleichtert Digitalisierung das Leben und gewährleistet online die Teilnahme an einem Gottesdienst, was ansonsten aufgrund körperlicher Gebrechen schwierig wäre. Andererseits wird die zunehmende Vereinsamung aufgrund der übermäßigen Nutzung von sozialen Medien und anderer Technik beklagt. Wie bei jeder Technik gibt es folglich auch bei der Digitalisierung Vor- und Nachteile, die gegeneinander abzuwägen sind.

Ähnlich ist es auch bei der Nachhaltigkeit. Auch hier geht es, wie wir gleich hören werden, um Abwägung, also um das Finden der richtigen Mitte. Unter Nachhaltigkeit verstehen viele nur das Thema Umweltschutz. Der Begriff geht jedoch weit darüber hinaus und hat eine sachliche und zeitliche Perspektive. Sachlich gehört zur Nachhaltigkeit nach herrschender Meinung neben der Ökologie auch die Ökonomie und der Bereich Soziales. Zeitlich wird unter Nachhaltigkeit Langfristigkeit gefordert. Zusammengefasst geht es darum, bei allen Entscheidungen ökologische, ökonomische und soziale Aspekte in Bezug auf ihre langfristigen Wirkungen gegeneinander abzuwägen.

Bevor man abwägen kann, muss jedoch näher überlegt werden, was Ökologie, Ökonomie, Soziales und Langfristigkeit bedeuten.

Ökologie ist nicht nur Klimaschutz und Reduzierung von Kohlendioxid, obwohl diese Begriffe die Presse dominieren. Auch die Themen Artensterben, Waldabholzung, Meeresverschmutzung, Süßwasserknappheit und - etwas weniger bekannt - Phosphorkreisläufe, um nur einige Stichworte zu nennen, spielen eine große Rolle. Letztlich geht es darum das System Erde für die Menschheit dauerhaft zur Verfügung zu halten, ohne auf Optionen wie die Besiedelung von anderen Planeten zurückgreifen zu müssen.

An dieser Stelle möchte ich in einem kleinen Exkurs zur Bibel kommen. Die Bibel hat teilweise einen negativen Ruf in Bezug auf ihre ökologischen Aussagen. Das weit verbreitete Zitat "Macht euch die Erde untertan" wurde über Jahrhunderte hinweg als göttlicher Freibrief für eine rücksichtslose Ausbeutung der Natur interpretiert. Es gibt jedoch Meinungen, dass dies auf einem Übersetzungsfehler beruht und ein Missverständnis darstellt. Tatsächlich ist der Mensch von Gott dazu bestimmt, eine herrschende Position über die Natur einzunehmen, aber nur unter der Bedingung, dass er sich als würdig erweist und die Natur mit dem ihr gebührenden Respekt behandelt. (vgl. hier)

Gewünscht wird, dass ökologische Herausforderungen sozial verträglich gelöst werden. Dies wurde aktuell bei der Diskussion um das neue Gebäudeenergiegesetz deutlich. Unabhängig von diesem konkreten Fall verstehen die sogenannten Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen insbesondere folgende Themen als dem sozialen bzw. gesellschaftlichen Bereich zugehörig:

  • SDG 1 – Keine Armut
  • SDG 11 – Nachhaltige Städte und Gemeinden
  • SDG 16 – Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen
  • SDG 7 – Bezahlbare und saubere Energie
  • SDG 3 – Gesundheit und Wohlergehen
  • SDG 4 – Hochwertige Bildung
  • SDG 5 – Geschlechtergleichheit
  • SDG 2 – Kein Hunger

Insgesamt gibt es 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung. Die verbleibenden betreffen die Bereiche Ökologie und Ökonomie.

Als dritter sachlicher Bereich der Nachhaltigkeit verbleibt die Ökonomie, als deren Vertreter ich hier vor Ihnen stehe. In der Ökonomie, die sich in Deutschland insbesondere in einen betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Zweig untergliedert, geht es um die Befriedigung von Bedürfnissen. Die dazu notwendige Produktion von Gütern und Dienstleistungen soll effektiv und effizient sein, um eine Maximierung des Nutzens aller Wirtschaftssubjekte zu erreichen. Für Unternehmen bedeutet dies in unserem aktuellen Wirtschaftssystem insbesondere Gewinnmaximierung.

Lange Zeit galt die Ökonomie als die dominierende Säule der Nachhaltigkeit, die im Zweifel Vorrang vor den Säulen Ökologie und Soziales hatte. In den letzten Jahren setzte jedoch ein diesbezüglicher Veränderungsprozess ein. In Anbetracht zunehmender Naturkatastrophen - auch das uns nahe Ahrtal war in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 hiervon betroffen -, hat ein verändertes Denken stattgefunden. Konsens ist häufig, dass zumindest eine Abwägung zwischen Ökologie, Sozialem und Ökonomie stattfinden muss, wobei je nach Vertreter dem einen oder dem anderen Bereich der Vorzug gegeben wird. Abwägung und das Finden der richtigen Mitte müssen hier von Entscheidern teilweise neu gelernt werden, wobei man sich im übertragenen Sinne an dem spätmittelalterlichen Grundsatz „ora et labora“ orientieren kann.

Die sachliche Abwägung und die Lösung von Zielkonflikten zwischen den drei erläuterten Säulen Ökologie, Soziales und Ökonomie ist bereits komplex. Diese Komplexität wird durch die Einbeziehung der zeitlichen Dimension nochmals erhöht. Diese Dimension wurde durch den sogenannten „Brundtland-Bericht“ im Jahre 1987 geprägt. Der Bericht, dessen Name zurückgeht auf die ehemalige norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland, die in dieser Kommission den Vorsitz hatte, ist für seine Definition des Begriffs nachhaltige Entwicklung bekannt. Diese lautet: “meeting the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs.” Nachhaltig ist also eine Entwicklung, „die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen“. Dass von dieser Zielsetzung aktuell nicht auszugehen ist, hat auch friedliche und nicht friedliche Protestbewegungen entstehen lassen.

Lässt sich der beschriebene Problemkreis mit der zu Beginn meines Vortrages erläuterten Digitalisierung lösen? Wie Sie bereits vermuten werden, bestehen zwischen der Zielsetzung Nachhaltigkeit und dem Instrument Digitalisierung nicht nur komplementäre und neutrale Zielbeziehungen, sondern auch Zielkonflikte. So führen digitale Konferenzen beispielsweise zu einer Reduzierung von Reisen und damit zu einer Reduzierung von Kohlendioxid. Gleichzeitig versursacht Digitalisierung auch einen erheblichen Ressourcenverbrauch. Nicht jede Form der Digitalisierung ist folglich nachhaltig. Entscheider müssen deshalb nicht ein Maximum an Digitalisierung anstreben, sondern ein Optimum.

Und löst dieses nicht einfach zu erreichende Digitalisierungsoptimum die Herausforderung dauerhaft Ökologie, Soziales und Ökonomie zu verbinden? Viele Menschen hoffen diesbezüglich auf die Digitalisierung bzw. allgemeiner ausgedrückt auf die Technik, die auch nicht digital sein kann, aber immer mehr digitalisiert wird. Nur mit Technik allein wird sich die Erde aller Voraussicht nach jedoch nicht retten lassen. Weitere Stellschrauben sind insbesondere die Anzahl der Menschen und das Konsumniveau. Erhöht sich gleichzeitig die Anzahl der Menschen nach dem Bibelzitat „Seid fruchtbar und mehret euch“ und steigt das Konsumniveau aller Menschen auf das Niveau der derzeitigen Industrieländer, wird es mit Technik in digitaler oder nicht digitaler Form alleine kaum gelingen die Herausforderungen der Nachhaltigkeit für die Menschheit, weitere Formen des Lebens oder nicht lebende Materie zu lösen.

Da mein heutiger Vortrag in einer Kirche stattfindet, würde ich zum Schluss gerne noch eine engere Verbindung meines Themas mit der Religion herstellen, obwohl ich hier nicht zu den Experten gehöre.

Digitalisierung wird natürlich bereits in der Institution Kirche praktiziert. So findet auch der heutige Gottesdienst hybrid statt, das heißt, es gibt ergänzend Zuschauer, die über das Internet teilnehmen.

Zu spannenden Ergebnissen führt auch eine Internet-Suche mit dem Schlagwort „digitale Religion“, deren vollständige Behandlung den zeitlichen Rahmen sprengen würde. Erwähnen möchte ich nur zwei Beispiele.

An der Universität Zürich gibt es bereits einen Forschungsschwerpunkt "Digital Religion(s)". Dieser „untersucht, wie die gegenwärtigen Digitalisierungsdynamiken die Religionspraxis von Individuen und Institutionen beeinflussen, prägen und transformieren. Themen und Inhalte der Forschung sind u.a. religiöse Identitätsbildung und die Entwicklung von gemeinschaftlichen online-offline Netzwerken, mediale Kommunikationspraktiken des Trauerns und der Seelsorge sowie Phänomene religionsbezogener digitaler Bildung“ (vgl. hier).

Auch der Kommunikationswissenschaftler Christian Hoffmeister hat sich in seinem Buch »Google Unser« intensiv mit dem Thema beschäftigt. Der Buchrückseite ist folgendes zu entnehmen, ich zitiere: „Digitalisierung ist eine Religion, die in immer stärkerem Maße die Funktionen und Elemente traditioneller Religionen übernimmt. Und die Unternehmen aus dem Silicon Valley können als die Kirchen der digitalen Moderne gesehen werden. Die User sind die neuen Gläubigen, die den Heilsversprechen der spirituellen Führer glauben und diesen bereitwillig in das gelobte Tal des Siliziums folgen.“

Es verbleibt mir noch eine kurze Verknüpfung von Nachhaltigkeit und Religion. Hier verweise ich insbesondere auf eine Veröffentlichung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit dem Titel „Religionen und nachhaltige Entwicklung“ (ISBN 978-3-923343-00-3). Dieses Buch gewährt Einblicke in die Art und Weise, wie Religionen und indigene Traditionen aus verschiedenen Teilen der Welt das Konzept der nachhaltigen Entwicklung verstehen und aktiv dazu beitragen. Erörtert werden Bahá’í-Glaube, Buddhismus, Christentum, Daoismus, Hinduismus, Indigene Traditionen, Islam, Judentum, Konfuzianismus und Sikh-Religion. Näher geforscht zu diesem Themenkomplex wird an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin im Forschungsbereich „Religiöse Gemeinschaften und nachhaltige Entwicklung“.

Auf eine Verknüpfung der Themen Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Religion möchte ich an dieser Stelle verzichten und zum Beispiel nicht die Frage beantworten, ob eine digitale Religion, wie auch immer dieser Begriff definiert wird, nachhaltig ist.

Stattdessen möchte ich zu einem Fazit kommen: Nachhaltigkeit und hier insbesondere die ökologischen Themen gehören in den nächsten Jahren und Jahrzenten zu den großen Herausforderungen der Menschheit. Digitalisierung kann bei richtiger Anwendung einen Beitrag zur Lösung leisten. Notwendig ist jedoch ein Bewusstseinswandel sowohl in den reichen Ländern als auch in den Ländern des globalen Südens, die voraussichtlich stärker unter den Folgen leiden werden.

An diesem Punkt tritt die Religion in Erscheinung. Religiöse Gemeinschaften spielen eine bedeutende Rolle bei der Förderung gesellschaftlicher Bewusstseinsveränderungen. Dies trifft insbesondere auf den Globalen Süden zu, wo der Glaube sowohl im öffentlichen als auch im privaten Leben eine hohe Relevanz besitzt. In den Ländern südlich der Sahara geben neun von zehn Menschen an, dass Religion in ihrem Leben sehr wichtig ist. Darüber hinaus stellen religiöse Gemeinschaften vor Ort eine der wichtigsten Quellen für soziale Dienstleistungen und Entwicklung dar. Ihre Strukturen erstrecken sich oft bis in die entlegensten Gegenden. (vgl. hier)

Wenn wir in diesem Sinne alle - mich eingeschlossen - unser Verhalten im Sinne der Nachhaltigkeit etwas ändern und alle fachlichen Disziplinen, wie zum Beispiel Theologie, Ökonomie, Informatik Sozial- und Naturwissenschaften, noch mehr zusammenarbeiten, wird es uns gelingen, dass die Menschheit als Homo sapiens überlebt und sich weiterentwickelt.

Vielen Dank für das Zuhören!