Montag, 24. Juli 2023

Von Nischenspringer*innen und dem Heiligen Geist

Wenn man in einer Wohnung oder einem Haus wohnt, gibt es dort meist irgendwelche Nischen – selbstgeschaffene oder von der Architektur vorgegebene. Der Duden schreibt der Nische neben ihrer „architektonischen“ Beschaffenheit noch weitere Deutungen zu: Sie ist ein privater Rückzugsort, aber auch ein Bereich, der trotz ungünstiger Umstände eine relativ freie Entfaltung erlaubt.

In einem Zuhause kann das konkret bedeuten, dass man in der versteckten Nische hinter dem Kleiderschrank unliebsame Dinge verstaut, die man zwar irgendwie noch nicht wegwerfen, aber auch nicht mehr richtig im Wohnraum haben möchte. Oder aber man verzieht sich in eine Nische im Wohnzimmer mit einer Decke und einem guten Buch, wenn man gerade mal eine Pause von der wilden Welt da draußen braucht.

Alles in allem wird klar: Die Nische – und alles in ihr – fristet eher ein Schattendasein jenseits großen Scheinwerferlichts, denn sie ist keine große Bühne, kein Podium, keine Kanzel.

Als ich in der letzten Woche an einer Veranstaltung zu den Ergebnissen des Synodalen Weges und zur Umsetzung in meinem Bistum teilnahm, fiel mir genau dieses Bild der Nische mit seinen Facetten ein. Eine Teilnehmende erzählte davon, dass zwar in Sachen Weitung in Bezug auf Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche noch nicht so viel geschehen und man aufgrund der Weltsynode eher am Abwarten sei, aber an so vielen anderen Stellen Räume wären, wo man sich als Frau aufhalten, diese Räume gestalten und Glaube auf eine besondere Weise leben könne. Damit hat sie sicher Recht: Es gibt sie, die Räume, in denen Frauen predigen, in denen sie gestalten und diskutieren – und ich möchte diesen Orten ihre Berechtigung nicht absprechen, denn genau wie die Nische können sie Kraft- und Rückzugsort sein, wenn die Welt da draußen – oder eben in diesem Fall die Kirche – nur noch schwer auszuhalten ist. Sie können der Ort sein, an dem man sich mit Gleichgesinnten trifft und sich für eine begrenzte Zeit relativ frei entfalten kann. Und doch fällt auf, dass die Nischen eben Nischen bleiben.

Oft höre ich in diesem, aber auch in anderen Kontexten: „Ich habe es mir in meiner Nische gemütlich gemacht. So lässt es sich gut leben!“ Im einen Atemzug teile ich diesen Satz – irgendwie hat jede*r seine Nische verdient, in der er*sie sich entfalten und ausleben kann ohne auf dem Präsentierteller zu sitzen. Im anderen Atemzug aber will ich widersprechen und rufen: „Etwas läuft falsch, wenn eine Hälfte der Menschen nur aufgrund des Geschlechtes systematisch dazu gezwungen wird, sich Nischen zu suchen, um endlich das tun zu können, was ihr eigen ist.“ Denn ich bin der festen Überzeugung, dass ich als Frau es nicht verdient habe, in inzwischen nahezu perfektionierter Leichtfüßigkeit von Nische zu Nische zu springen, nur um im Bereich jenseits der Nischen nicht zu sehr anzuecken oder das, was ich an Charisma und Begabung mitbringe, nicht zu verleugnen.

Der neue Glaubenspräfekt Víctor Fernández sagt zum Thema „Rolle der Frau“: „Wenn das Nachdenken über die Rolle der Frauen in der Kirche keine praktischen Konsequenzen hat, wenn man nicht die Frage nach der Macht in der Kirche stellt und wenn man nicht in der Lage ist, den Frauen Bereiche zu geben, in denen sie mehr Einfluss haben, dann wird dieses Nachdenken immer unbefriedigend bleiben“. Weiter spricht er sich dagegen aus, die Frage auf eine Debatte um einen Zugang von Frauen zu Weiheämtern zu verengen, denn das sei eine „Verarmung der Idee“.

Ich habe dazu mehrere Anmerkungen:

  • Ja, wenn nicht endlich etwas passiert – und damit meine ich keine Entschuldigungen oder erklärenden Worte – dann ist die Situation weiterhin unbefriedigend, oder sagen wir eher: für viele kaum mehr auszuhalten. Ganz abgesehen davon, dass auch die Bischöfe sich zukünftig immer wieder daran abarbeiten werden und es nicht von der Agenda verschwindet. Wie viel Zeit und Kraft man gewinnen könnte, wenn dieses Thema endlich abschließend bearbeitet wäre …
  • Ja, es geht um Macht – es wäre gelogen, das zu leugnen. Es geht darum, dass nicht nur geweihte Männer die Deutungs- und Entscheidungshoheit haben in einer Kirche, die auf vielen Ebenen durch die Tatkraft von Frauen und Männern (und allen dazwischen und außerhalb) gleichermaßen gestaltet und getragen wird. Eine paritätische Aufteilung der Macht – und damit auch ein Teilen von Verantwortung und Entlasten derer, die angesichts der Last der Verantwortung (z.B. in Bezug auf die Aufarbeitung des systematischen Missbrauchs in der Kirche oder die immer mehr schwindende Relevanz der Kirche in der Gesellschaft) im Moment auch zu leiden haben – wäre also schlicht und ergreifend angemessen. Insofern: Ja, wir brauchen Bereiche, in denen Frauen Einfluss haben. Hier stimme ich mit ihm überein.

Aber jenseits dieser zustimmungswürdigen Punkte steckt in den kurzen Aussagen des neuen Glaubenspräfekten noch viel mehr. Warum beispielsweise formuliert er mit „man“? Ersetzen wir doch das „man“ einfach durch ein „wir“: „[…] wenn wir nicht in der Lage sind, den Frauen Bereiche zu geben …“ Fernández ist Erzbischof und wird in Kürze noch dazu eines der höchsten Ämter im Vatikan innehaben. Es ist nicht irgendein „man“, das die Macht hat, etwas zu verändern. Er und seine Mitbrüder sind die, die Macht haben und damit auch Verantwortung dafür tragen, wie die Kirche gestaltet wird. Diese Verantwortung ist nicht nur auf Rom begrenzt – alle Bischöfe weltweit tragen sie. Ein umspannendes „wir“, das gleichermaßen in die Pflicht nimmt, ist also durchaus angemessen.

Weiter geht es mit den „Bereichen“. Frauen sollen Bereiche gegeben werden, ohne den Blick dabei auf das Weiheamt zu „verengen“. Hier möchte ich gerne die Hoffnung formulieren, dass Fernández wirklich meint, was er sagt. Denn „nicht verengen“ bedeutet ja, dass der Blick geweitet ist für alle kirchlichen Bereiche – Weiheämter eingeschlossen. Sollte sein Satz allerdings am Ende doch ein geschicktes Ausweichmanöver weg vom Weiheamt gewesen sein, wären die angepriesenen „Bereiche“ sofort wieder die Nischen von vorhin. Dort, am Rand, würden Frauen mehr Rechte gegeben. Zum inneren Kreis der Geweihten aber gehörten sie nicht. Ganz davon abgesehen formuliert er, dass auch diese Bereiche nur „gegeben“ sind – der hierarchische Blickwinkel von oben nach unten wird hier völlig klar. Automatisch – aufgrund ihrer Taufwürde und Gotteskindschaft – stehen ihnen diese Bereiche nämlich nicht zu, so kann man beim Lesen der Zeilen vermuten …

Was ich am Bespiel des neuen Glaubenspräfekten seziert habe, trifft auf viele Würdenträger weltweit und auch auf unser Bistum zu. Denn obwohl die Veranstaltung zum Synodalen Weg, bei der ich gestern war, offen ausgeschrieben war, waren 80% der Anwesenden Frauen, unter den verbleibenden 20% war lediglich eine geweihte Person. Trotz der Ausschreibung ist also wieder eine Nische entstanden. Ja, wir haben uns ausgetauscht, wir haben überlegt, wie wir Kirche gestalten wollen und vermutlich geht ein kurzer Bericht zum Verlauf der Veranstaltung an die entsprechenden Stellen. Genau genommen haben wir aber doch wieder nur Selbstgespräche geführt, denn die, die in unserem Bistum qua ihrer Weihe einen Rahmen stecken können für mehr Teilhabe und Wertschätzung standen als Dialogpartner nicht zur Verfügung. So wurde aus dem angestrebten Dialog doch wieder ein Monolog, der offene Raum wurde zur engen Nische.

Angesichts dessen möchte ich eine Erwartung formulieren, die mich seither umtreibt. Sie richtet sich an alle, die Verantwortung in dieser Kirche und in unserem Bistum tragen:

Wenn ihr es ernst meint mit der Rede von einer weltoffenen, menschenfreundlichen Kirche,
wenn ihr wollt, dass die Kirche zu einem Segensort wird,
wenn der Satz „Wir setzen uns für Gleichberechtigung und gegen jede Form von Diskriminierung ein“ aus unserer Bistumsvision keine leere Hülle bleiben soll,

dann nehmt eure Verantwortung ernst und holt Frauen (und Queere!) endlich aus ihren Nischen.

Holt uns dorthin, wo kirchliches Leben tobt, wo diskutiert und entschieden wird,
dorthin, wo das Leben in Fülle ist, das Jesus Christus für alle Menschen sein will,
dorthin, wo wir unsere vielfältigen Berufungen vollumfänglich einbringen können, wenn es darum geht, das Reich Gottes zu verwirklichen.

Dann – und nur dann – gelingt es, dass jede*r in dieser Kirche ihr*sein Selbstbestimmungsrecht in Form einer freien Berufs- und Berufungswahl ausleben kann und wir uns wirklich auf Augenhöhe begegnen.

Und damit die Angst vor Veränderung nicht zu groß wird noch einmal ein Zitat von Fernández aus demselben Artikel von vorhin: „Die Frage der Inkulturation ist ein Thema, das Papst Franziskus ganz besonders am Herzen liegt. (...) Er hat einen riesigen Respekt für die unterschiedlichen Weisen, katholisch zu sein, die in verschiedenen Teilen der Welt existieren, und er mag Forderungen nach Einförmigkeit überhaupt nicht. Denn das wäre ein Verrat am Heiligen Geist, dessen Kreativität unerschöpflich ist.“

Insofern: Seid mutig, euch neue Wege zu überlegen – dem Heiligen Geist gefällt das allemal. Denn ich bin nicht sicher, wie lange es uns noch gelingt, von Nische zu Nische zu springen …

 

Sonja Haub, Bildungsreferentin KEB Pfalz