Montag, 19. Februar 2024
Wie können wir in Zukunft gut zusammen leben?
Pirmin Spiegel blickt zurück. Aus dem Jahr 2045. Auf die 2020er Jahre. Wie kommt es zu dieser überraschenden zeitlichen Perspektive?
Am gestrigen Sonntag fand in Ludwigshafen die bundesweite Eröffnung der Fastenaktion von Misereor statt. Im Vorfeld der Eröffnung gab es im Bistum Speyer verschiedene Begleitveranstaltungen, die das Leitwort „Interessiert mich die Bohne“ und den inhaltlichen Fokus der Fastenaktion, die sozial-ökologische Transformation in der Landwirtschaft, aufgriffen.
Den Auftakt machte am Aschermittwoch eine Abendveranstaltung im Heinrich Pesch Haus zur Frage „Wie können wir in Zukunft gut zusammen leben?“. In seiner Einführung blickte Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer des Hilfswerks, u. a. aus dem Jahr 2045 auf die heutige Zeit zurück und entwarf gleichzeitig eine positive Zukunftsvision. Diesen Ausschnitt aus seiner Einführung dokumentieren wir hier und danken Pirmin Spiegel für die Genehmigung zur Veröffentlichung dieses „Rückblicks“:
(…)
Die Suche nach „positiven Ereignissen“ sei nicht einfach inmitten einer taumelnden Welt – so steht’s in der Idee für den heutigen Abend.
Fragmentarisch: Vom Hügel des Jahres 2045 will ich auf die Täler der heutigen 20er Jahre schauen. Diesen Blick verbinde ich mit dem rückblickenden Ausblick auf das gute Leben für alle. Ich versuche also im Rückspiegel des Jahres 2045 stichwortartig die Jahre zu fokussieren, die heute noch vor uns liegen. Wir werden lernen, mit weniger gut zu leben und uns von dem Überfluss zu befreien, welcher der Natur und uns selbst Schaden zufügt, auch weil er einem Großteil der Menschheit das Notwendige raubt. Mit dem Jahr 2045 steuere ich bewusst nicht auf eine paradiesische Idylle hin oder auf eine generelle Entwarnung der ökologischen Krise.
Zwei Beispiel scheinen mir besonders geeignet, das „gute Leben“ in der hinter uns liegenden Zukunft zu bedenken. Sie können Lernprozesse in Gang setzen, die es ermöglichen, die Mitte zu finden und erhobenen Hauptes im Jahre 2045 anzukommen:
1. Anerkennung des Anderen und Fremden und Achtsamkeit, die in der Wertschätzung der eigenen Identität beheimatet sind als Gegenpol zu Verachtung und Rücksichtslosigkeit.
2. Umverteilung von Gütern und Geld als Gegenpol zur Konzentration von Konsum- und Eigentumsprivilegien, die uns zu ersticken drohen.
1. Anerkennung
Anerkennung, Achtsamkeit und Wertschätzung verschiedener Lebenswelten haben die Erde heute im Jahre 2045 zu einem gemeinsamen Haus gemacht, zu einem Ort des Zusammenlebens vieler Kulturen und unterschiedlicher Erfahrungen. Wir sehen vor uns eine offene und solidarisch verbundene Welt, innerhalb derer sehr unterschiedliche Lebensweisen in Freiheit existieren und voneinander lernen.
Die Lernprozesse der Anerkennung und Achtsamkeit in all diesen Kulturwelten haben gezeigt, dass wir in verschiedenen Modalitäten Menschen werden und Menschen sein können – in der Art der Aymaras, in der Art der Chinesen, in der Art der Philippinos, in der Art der Burkinabes. All diese unterschiedlichen, aber in sich gleichwertigen Lebensweisen gehören zur einen Menschheit.
Die Lernprozesse, die zur Anerkennung der Kulturen als Lebensprojekte und ihrer grundsätzlichen Gleichwertigkeit in einer hinter uns liegenden Zukunft geführt haben, waren konfliktreich. Innerhalb des gemeinsamen Hauses des Planeten Erde erkannten wir, dass die Unkosten von Anerkennung und Achtsamkeit, von Wertschätzung und Geschwisterlichkeit sehr gering waren, wenn wir sie mit den vermiedenen Kriegskosten und mit dem Wert des dadurch gewonnen Weltfriedens vergleichen.
2. Umverteilung
Die hinter uns liegende Zukunft hat die Anhäufung der Güter als schädlichen Einfluss gebrandmarkt. Umverteilung hat unseren Alltag entrümpelt. Wir haben gelernt, das meiste, was wir gestern weggeworfen haben, heute wieder zu verwenden. Für alle Menschen auf dem Planeten steht gutes und den jeweiligen kulturellen Gewohnheiten angepasstes Essen zur Verfügung. Wir haben die Gewissheit, dass niemand auf der Welt mehr hungert.
All das, was wir produzieren, reichte schon seit Beginn dieses Jahrhunderts für alle Menschen auf unserem Planeten. Aber die Verteilung war höchst ungerecht gewesen.
Die meisten Industrieländer hatten sich für eine weitere Förderung der industriellen Landwirtschaft ausgesprochen, während andere, insbesondere aufgrund der Erfahrungen in der Entwicklungszusammenarbeit, auf die Vorteile regional angepasster Anbaumethoden und Vermarktungsstrukturen gesetzt haben. Inzwischen hat sich eine Landwirtschaft durchgesetzt, die mit der Natur und nicht gegen sie arbeitet.
Es hat ein Umdenken stattgefunden, das in Schulbüchern und Tageszeitungen seinen Niederschlag gefunden hat. Lebensmittelverschwendung ist ein Wort, das unsere Enkel nur noch aus Geschichtsbüchern kennen.
Im Rückspiegel des Jahres 2045 wissen wir, dass das „gute Leben“ nichts zu tun hat mit Fortschritt und Wohlstand durch Plünderung der Natur und Ausbeutung der Mitmenschen und Nachbarvölker.
Mit zwei Zitaten von Václav Havel und Fulbert Steffensky zum Prinzip Hoffnung möchte ich meinen Rückblick aus dem Jahr 2045 abschließen:
„Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“ (Václav Havel))
„Hoffen heißt darauf vertrauen, dass es sinnvoll ist, was wir tun. Hoffnung ist Widerstand gegen Resignation, Mutlosigkeit und Zynismus. Die Hoffnung kann lesen. Sie vermutet in den kleinen Vorzeichen das ganze Gelingen. … Sie ist vielleicht die stärkste der Tugenden, weil in ihr die Liebe wohnt, die nichts aufgibt, und der Glauben, der den Tag schon in der Morgenröte sieht.“ (Fulbert Steffensky).
(…)
Pirmin Spiegel
Hauptgeschäftsführer des Bischöflichen Hilfswerks Misereor