Die Grundlegung des Mitte-Mythos findet sich schon bei Aristoteles, der behauptete, die Erschaffung einer großen Mittelklasse sei die notwendige Stütze einer demokratischen Verfassung.(1) Diese Sichtweise lebt bis heute fort. Einer These des amerikanischen Sozialwissenschaftlers Seymour M. Lipset zufolge bedingt ökonomisches Wachstum eine Zunahme von Berufen, die mittleren Soziallagen zugerechnet werden können. Das bewirkt einen sozialen Zusammenhalt, der als entscheidender Stabilitätsanker demokratischer Gesellschaften gilt.(2) Wenn „das ´Volk´ also die zufriedene Menge von Menschen der Mittelklasse ist“(3), dann muss das Gros der abhängig Erwerbstätigen – die Arbeiterschaft mehrheitlich eingeschlossen – zu eben dieser sozialen Mitte zählen. Verhielte es sich anders, wäre gesellschaftliche Stabilität gefährdet.
Fußnoten
(1) Badiou, Alain (2017): Vierundzwanzig Anmerkungen über die Verwendung des Wortes ´Volk´. In: Badiou, Alain/Bourdieu, Pierre/Butler, Judith/Didi-Huberman, Georges/Khiari, Sadri/Rancière: Was ist ein Volk? Hamburg, S. 9-16, hier S. 15.
(2) Lipset, Seymor Martin (1959): Some Social Requisites of Democracy: Economic Development and Political Legitimacy. In: American Political Science Review, 53(1), S. 69-105. DOI: Link
(3) Badiou (2017), S. 15.